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Deutschlands nachhaltigste Stadt mittlerer Größe?

Diesen Titel der "Nachhaltigsten Stadt mittlerer Größe in Deutschland" erhielt die Stadt Ludwigsburg im November 2014 von einem Gremium zugesprochen, das im Wesentlichen aus Dienstleistern der (deutschen) Städte (ICLEI, Städtetag), Wirtschaftsvertretern und Vertretern der Bundesregierung besteht. Basis der Preisverleihung war die Selbstdarstellung der Ludwigsburger Verwaltungsspitze. Die Einwohner der Stadt und die örtlichen Umweltverbände wurden nicht befragt.
Wir vom BUND Ludwigsburg nehmen uns die Freiheit, die Schau der Stadtverwaltung Ludwigsburg mit ein paar Fakten zu hinterfüttern.
Auf welcher Basis ermittelte die Preisverleihkommission die Preisträger?
Zunächst sollten die sich bewerbenden Städte die für ihre Gemeinde besonders zutreffenden ökologischen, sozialen und ökonomischen Herausforderungen sowie die verfolgten Nachhaltigkeitsstrategien nennen. Anschließend konnten in 6 Themenfeldern - Verwaltung, Klima und Ressourcen, Mobilität und Infrastruktur, Wirtschaft und Arbeit, Bildung und Integration sowie Lebensqualität und Stadtstruktur - konkrete Maßnahmen beschrieben werden. Wir veröffentlichen nachstehend die Eigenbewertung der Stadtverwaltung zu Herausforderungen und Nachhaltigkeitsstrategien in Ludwigsburg und zu den einzelnen Themenfeldern, die in den Bewerbungsunterlagen nachzulesen sind, und unseren Kommentar dazu:

Verwaltung: Seit 2004 arbeitet die Stadt intensiv an einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Dabei stehen nicht immer Leuchtturmprojekte im Vordergrund, sondern die Absicht, das gesamte Verwaltungshandeln an Zielen der Nachhaltigkeit auszurichten.
Um eine Verankerung auf allen Ebenen sicherzustellen, passt die Barockstadt ihre Verwaltungsstruktur kontinuierlich an.
Den Kern der Entwicklungen bildet das Stadtentwicklungskonzept (SEK), das mit breiter Bürgerbeteiligung erarbeitet wurde. Die Erfolge werden durch ein Set von Indikatoren gemessen. Somit wird sichergestellt, daß es nicht bei guten Absichten bleibt.
Um die Aktualität des SEK zu gewährleisten, finden alle drei Jahre Zukunftskonferenzen statt. Hier werden gemeinsam mit den Bürgern Maßnahmen überprüft und das SEK überarbeitet. Der zentrale Akteur bei der Durchführung dieses integrierten Managementkreislaufes ist das 2008 geschaffene Querschnittsreferat für Nachhaltige Stadtentwicklung, welches direkt dem Oberbürgermeister zugeordnet ist.
BUND-Stellungnahme: Es fällt auf, daß der Bewerbungstext der Stadt mit Fremdwörtern überladen ist. Viele Menschen verstehen diese „Assistentensprache“ nicht. Außerdem ist die Bedeutung im Deutschen auslegbar. Beispiel: das vielgenutzte Wort „integrieren“ bedeutet 1. einbeziehen, eingliedern, 2. Teile zu einem Ganzen verbinden; 3. das Integral berechnen.
Die „Anpassung“ der Verwaltungsstruktur besteht im Abbau von Stellen ohne vorherige Aufgabenkritik.
Die „Indikatoren“ (Stoffe, die eine chemische Reaktion anzeigen) wurden nur im Gemeinderat diskutiert und beschlossen.
Mit einer Ausnahme („Die B 27 wird zur Allee“) haben alle Bürgerarbeitsgruppen aus den drei ersten Zukunftskonferenzen ihre ehrenamtliche Betätigung inzwischen beendet, weil sie von der Stadtverwaltung nicht unterstützt wurden.

Klima und Ressourcen: Innerhalb dieses integrierten Managementkonzeptes hat die Stadt Ludwigsburg erfolgreiche Einzelprojekte integriert. So wurden am Flussufer des Neckars 17 ha Fläche renaturiert und in eine ursprüngliche Auenlandschaft zurückgebaut, welche Lebensraum für vielfältige Pflanzen- und Tierarten schafft.
Im sogenannten „Grünen Zimmer“ sind im Ludwigsburger Rathaushof 140 qm innerstädtische Vegetationsfläche entstanden. Die Schaffung von innovativen Klimakomfortzonen soll in Zukunft für Abkühlung in einer Zeit der globalen Erwärmung sorgen und die vielfältige Pflanzenwelt im Stadtkern integrieren.
BUND-Stellungnahme: Eine Stadt ist kein Konzern mit einem Management an der Spitze und der Aufgabe, für die Aktionäre möglichst hohe Gewinne zu erzielen.
Ob die Zahlen „17 ha“ und "140 qm" stimmen, ist uns unbekannt. Das Wort „renaturiert“ jedenfalls ist falsch, weil die umgestalteten „Zugwiesen“ und die „Uferwiesen I“ am Neckar niemals eine Auenlandschaft waren, sondern eine einfache Naherholungsfläche für viele Menschen aus Ludwigsburg und der Umgebung. Ihre bauliche Veränderung hat ca. 6 Millionen Euro gekostet.
Der Einsatz von so viel Geld muß sich lohnen. Die Flächen dienen jetzt nach der Umgestaltung als -gesetzlich vorgeschriebene- Ausgleichsflächen für neue Wohnbaugebiete in Ludwigsburg wie die „Neckarterrassen“, die „Tammer Straße“, die „Hartenecker Höhe“... und zukünftige Planungen.
Der BUND möchte übrigens von der Stadtverwaltung wissen, wieviel Quadratmeter wertvollen Ludwigsburger Bodens zwischen 2004 und 2015 mit Wohngebäuden, Gewerbeeinrichtungen und Straßen neu versiegelt wurden.
Das „Grüne Zimmer“ wurde mit EU-Fördergeldern finanziert, obwohl es in anderen Städten (Dresden) bereits Untersuchungen und Ergebnisse zur CO2-Reduktion dieser künstlichen Aufbauten gibt. Sie bestehen aus wenigen Pflanzenarten. Von „Vielfältigkeit“ kann keine Rede sein. Das "Grüne Zimmer" steht auf einem dafür aufgegebenen Kinderspielplatz in einem Fußgängerbereich der Innenstadt und ist an dieser Stelle als Untersuchungsbeispiel für „Klimakomfort“ völlig ungeeignet.

Wirtschaft und Arbeit: Dass auch im Bereich Wirtschaft nachhaltig agiert wird, zeigt die Integration der Wirtschaftsförderung in das Referat für Nachhaltige Stadtentwicklung. Die Existenzgründerquote in der Stadt ist fast doppelt so hoch wie der Landesdurchschnitt Baden-Württembergs.
Das Deutsche Corporate Social Reponsibility Forum ist hervorzuheben. Es findet seit Jahren in Ludwigsburg statt und ist das größte seiner Art im deutschsprachigen Raum.
BUND-Stellungnahme: Die Wirtschaftsförderung im Referat „Nachhaltige Stadtentwicklung“ hat nach eigener Aussage des Referates eindeutig Vorrang vor den Aufgaben der Nachhaltigkeit. Das ist auch an Stellungnahmen zu umweltbelastenden Verkaufsstättenerweiterungen (z.B. Möbel Mann-XXXL) eindeutig nachzuweisen.

Mobilität und Infrastruktur: Auch in Sachen Mobilität fährt Ludwigsburg voran und gilt als nationales Schaufenster für E-Mobilität.
BUND-Stellungnahme: Außer der Förderung von E-Autos und E-Fahrrädern gibt es in Ludwigsburg keine nachhaltigen Mobilitätskonzepte. Vor allem fehlt ein Fußgängerkonzept.

Bildung und Integration: Zudem bietet Ludwigsburg spannende Initiativen im Bereich Bildung wie z.B. die Ludwigsburger Musikimpulse, die jedem Kind ab 4 Jahren einen niederschwelligen Zugang zu musikalischer Bildung ermöglichen, oder das eigens erarbeitete „Ludwigsburger Modell“ zur Sprachförderung an Schulen.
BUND-Stellungnahme: Die musikalische Früherziehung wird in Ludwigsburg seit bald 40 Jahren praktiziert.
Die letzte nachprüfbare Aussage zum Thema Sprachförderung war im Jahr 2010: 40 % aller Viertklässler können nicht richtig deutsch sprechen und schreiben.

Lebensqualität und Stadtstruktur: Alle genannten Beispiele folgen einem integrativen Ansatz. Denn die einzelnen Politikfelder sind ebenfalls vernetzt. So richtet sich zum Beispiel die Wohnungspolitik nicht nur daran aus, Wohnraum zu schaffen. Sie stärkt darüber hinaus gezielt die Sozialstruktur in den Stadtbezirken, gerade auch im Sinne von Integration und Bildungsgerechtigkeit.
BUND-Stellungnahme: Die in den letzten Jahren realisierten großen neuen Wohnbaugebiete in Ludwigsburg, „Rotbäumlesfeld“, „Am Wasserfall“ (auf Obstbaumwiesen), “Jahnstraße“,„Tammer Straße“, „Sonnenberg“, „Hartenecker Höhe“, „Neckarterrassen“, waren gemäß Aussagen von Oberbürgermeister Spec dazu bestimmt, durch hochwertigen, sprich teuren, Wohnungsbau gut verdienende Bürger in Ludwigsburg anzusiedeln und dadurch den Anteil der Stadt an der Einkommensteuer zu erhöhen.

Fazit: Das angeblich nachhaltige Handeln der Stadt Ludwigsburg entpuppt sich bei genauem Hinsehen als Konstrukt aus heißer Luft. Die Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis e.V. erkennt einmal vergebene Auszeichnungen nicht wieder ab, erwägt aber nach der detaillierten und kritischen Stellungnahme des BUND immerhin, zu kommenden Wettbewerbsausschreibungen auch Vertreter/in des BUND in ihre Jury einzuladen, "um die Mitwirkung der Zivilgesellschaft noch weiter zu stärken."
Wir vom BUND meinen darüber hinaus, daß bei derartigen Wettbewerben generell Rückfragen bei Bürgern wie Umweltverbänden der betroffenen Städte aus deren Ortskenntnis heraus sicherstellen würden, daß die Kommune den Preis erhält, die auch auch wirklich nachhaltig handelt und sich nicht nur gut nach außen darstellen kann.